Der Lektorenverband VFLL auf der Konferenz future!publish in Berlin

So lesen, arbeiten und publizieren wir in der Zukunft

Die future!publish bietet auf komprimierte Weise vielfältige Informationen über die Umbrüche in der Verlagswelt, Innovationen, aktuelle Diskussionen und neue Arbeitsformen. VFLL-Kollegin Claudia Lüdtke war als Teilnehmerin dabei und stellt Themen vor, die freie Lektorinnen und Lektoren betreffen.

Von Claudia Lüdtke

Dieses Jahr fand der Kongress future!publish zum zweiten Mal in Berlin statt. In fast 40 Vorträgen, Workshops und Panels beschäftigten sich die rund 300 Teilnehmenden mit dem Publizieren der Zukunft. Auch wenn Programm und Referentenauswahl noch eine Schwerpunktsetzung bei den Fragestellungen von Verlagen und deren Suche nach neuen Konzepten erkennen ließen, so bewies das Teilnehmerspektrum, dass das Publizieren in der Welt von morgen weit über die Grenzen der Verlagswelt hinausgeht: Außer mit Verlegern, Programmleiterinnen und Buchhändlerinnen konnten die Teilehmenden zum Beispiel mit Selfpublishern, Crowdfunding-Beraterinnen, App-Entwicklern und Coaches für agiles Arbeiten ins Gespräch kommen.

Dass E-Publishing und die Transformationsprozesse in der Arbeitswelt Themen sind, mit denen sich auch freie Lektorinnen und Lektoren intensiv befassen, konnten gleich mehrere VFLL-Mitglieder durch ihre Präsenz auf dem Kongress zeigen. Ein von Sabine Landes und VFLL-Vorstandsmitglied Felix Wolf moderiertes Gespräch („Das Lektorat: (k)ein Ort für digitale Innovationen?“) stellte zudem das Lektorat und dessen Einbindung in die Entwicklung digitaler Produkte in den Mittelpunkt. Eine Zusammenfassung der Diskussion wird im Lektorenblog in Kürze zu lesen sein.

Drehte sich bei der ersten future!publish noch vieles um die Frage „Print oder/und digital?“ sowie um neue Erlösmodelle für Verlage, so ging es in diesem Jahr in vielen Veranstaltungen auch um die Formen und Bedingungen des Arbeitens in Zeiten der Digitalisierung. Und dies sind Themen, bei denen freie Lektorinnen und Lektoren selbstverständlich mitreden wollen und zu denen sie einiges beitragen können.

Hier eine Zusammenfassung der Veranstaltungen, die ich besucht habe:

„Futurepublishing“ heißt Öffentlichkeit gestalten

Das Buch bleibt Buch, aber es ergeben sich neue Bruchstellen und Schnittmengen, die wiederum eine Chance für Innovation darstellen – so charakterisierte Stephan Porombka (Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der UdK Berlin) in seiner Keynote die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Buchbranche. An diesen Brüchen arbeite sich die Buchbranche derzeit ab. Das „Futurepublishing“ stellte er als einen nicht linearen Prozess dar, in dem Neuerungen immer wieder von Folgeneuerungen eingeholt werden: Online brachte Print unter Legitimationszwang, im nächsten Schritt sah sich Online der Mobile-Revolution gegenüber. Somit zeitige das Futurepublishing Effekte, für die es Mitverantwortung trage. Und dabei gehe es auch – oder sogar vor allem – um die Gestaltung von Öffentlichkeit.

Futurepublishing bedeutet Porombka zufolge nicht einfach, Content auf möglichst innovative Weise in Umlauf zu bringen. Vielmehr hätten sich die „Futurepublisher“ die Frage zu stellen, wie, warum und mit welchem Ziel sie Öffentlichkeit gestalten. In diesem Zusammenhang forderte Porombka zu einer Wiederentdeckung der kritischen Geste im Bereich des Publizierens auf.

Gleichstellung in der Buchbranche

In einem Gespräch zwischen Elisabeth Ruge (Elisabeth Ruge Agentur) und Dr. Valeska Henze (bis 2015 1. Vorsitzende der BücherFrauen) ging es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Buchbranche. Laut der BücherFrauen-Studie „MehrWert“, die Henze zu Beginn vorstellte, ist die Buchbranche zwar eine Domäne der Frauen, aber dennoch von Geschlechtergerechtigkeit noch ein ganzes Stück entfernt: 80 % der in der Branche Arbeitenden sind weiblich, 69 % der Befragten sind kinderlos – doppelt so viele Frauen wie Männer – und es existiert ein Gender-Pay-Gap von 28 %. Die „MehrWert“-Studie zeigt, dass in Hinblick auf Berufstätigkeit und Karriere für Frauen und Männer nicht die gleichen Rahmenbedingungen herrschen. Zudem verbessert eine hohe Qualifikation für Frauen nicht die Chancen auf einen beruflichen Aufstieg.

Was tun? Elisabeth Ruge hält ein Eingreifen des Gesetzgebers, sprich Quotenregelungen, für unabdingbar. Henze stimmt dieser Forderung zu, sieht jedoch in der Umsetzbarkeit ein Problem, da in der Buchbranche viele Unternehmen zu klein seien, um unter gesetzliche Quotenregelungen zu fallen. Die Buchbranche benötige aufgrund ihrer Struktur eigene Wege zum Erreichen von Gendergerechtigkeit. Erforderlich sei daher eine eigene Initiative der Buchbranche, die beispielsweise vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ausgehen könnte. Dieser sei bislang jedoch nicht tätig geworden, habe beispielsweise keine eigene Datenerhebung zur Gendergerechtigkeit in der Branche durchgeführt und Forderungen der BücherFrauen ignoriert.

Lektorenverband VFLL Diskussion über Gleichstellung in der Buchbranche

Diskussion über Gleichstellung in der Buchbranche (Bild: Sabine Felber/Literaturtest)

Abschließend zeigte sich Ruge optimistisch, dass sich etwas bewegen und verändern kann, insbesondere vor dem Hintergrund von zwei Entwicklungen: So könne die Digitaltechnologie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Zudem seien in den Chefetagen mehrerer großer Verlagshäuser in der letzten Zeit Frauen an den Start gegangen, die neue Zeichen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit setzen könnten.

Für freie Lektorinnen, die als Unternehmerinnen ihre eigenen Chefinnen sind, ist die gläserne Decke in Unternehmen zwar ein weniger relevantes Thema. Dass dennoch Handlungsbedarf in Sachen Geschlechtergerechtigkeit besteht, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie des Deutschen Kulturrat, der zufolge es bei freien Lektorinnen und Lektoren eine Einkommensdifferenz von 18 % gibt.

Publishing 4.0 – das Modell der Zukunft für die Medienbranche?

Wie können in Zeiten der Digitalisierung neue Geschäftsmodelle der Medienbranche aussehen und wie müssen Verlage sich neu aufstellen? Diese Fragen versucht die Studie „Publishing 4.0“ zu beantworten, die Ehrhardt F. Heinold (Heinold, Spiller & Partner Unternehmensberatung vorstellte. Die Studie entwirft ein Modell für die Medienbranche, das sich am Prinzip der Industrie 4.0 im Maschinenbau orientiert. In der Industrie 4.0 unterstützt die Technologie den Menschen, zum Beispiel bei Produktions- und Kommunikationsprozessen, mithilfe intelligenter, vernetzter digitaler Systeme. Da insbesondere Medienprodukte komplett digitalisierbar sind, ergeben sich für die Medienbranche Chancen zur Produktivitätssteigerung durch neue Geschäftsmodelle. Nach dem Publishing-4.0-Modell werden nicht mehr einfach Inhalte entwickelt und verkauft, sondern intelligente, vernetzte Content-Services. Damit rücken die „Ökosysteme“ rund um die Inhalte, also Vernetzung ermöglichende Plattformen (Heinold nannte in diesem Zusammenhang die Social-Reading-Plattform log.os) ins Zentrum.

Kern des Publishing-4.0-Prinzips ist die konsequente Orientierung an den Kundenbedürfnissen. Als ein Beispiel hierfür führte Heinold den „Mix der Woche“ von Spotify an: Der Musikstreaming-Dienst erstellt wöchentlich individuelle Playlists mit Song-Empfehlungen, die der bisherigen Musikauswahl des jeweiligen Nutzers entsprechen. Um ähnliche Services anbieten zu können, müssen Verlage laut Heinold ihre Kunden besser kennenlernen. Nur so könnten sie ihnen genau das liefern, was sie brauchen. Grundlage für die auf den Kunden zugeschnittenen Services ist die medienneutrale, intelligente und maschinenlesbare Aufbereitung von Inhalten („Semantic Enrichment“). Dabei soll der gesamte Workflow vom Autor über die Redaktion bis zum Leser über eine cloudbasierte und modulare IT ablaufen. Für Lektoren dürfte dies bedeuten, dass sie sich mit neuen Arbeitsabläufen und Technologien vertraut machen müssen. Gleichzeitig können sich aber auch neue interessante Arbeitsfelder für sie auftun.

Die Künstlersozialabgabe aus Verlagssicht

Rechtsanwalt Reimer Ochs informierte in seinem Vortrag über Ziele und Funktion der Künstlersozialkasse. Erfreulich, dass auch dieses für freiberufliche Kreative so wichtige Thema einen Platz im Kongressprogramm gefunden hat. Schade allerdings, dass Ochs ausschließlich aus Verlagssicht sprach und die mit der Künstlersozialabgabe (KSA) verbundenen Belastungen für Auftraggeber ins Zentrum seiner Ausführungen stellte. Seiner Ansicht nach stellt die KSA eine Privilegierung der künstlerischen und publizistischen Berufe dar. Es sei nicht nachvollziehbar, warum nur Künstler und Kreative aufgenommen werden, nicht aber Handwerker und andere Freiberufler. Für die Verlage entstehe durch dieses Gesetz ein hoher bürokratischer Aufwand. Diesen zu mindern, ist das Ziel der Ausgleichsvereinigung Verlage – eine Art Selbsthilfeorganisation für Verlage, die für ihre Mitglieder die Zahlung der KSA übernimmt –, deren geschäftsführender Vorstand Reimer Ochs ist. Interessanter aus Lektorinnensicht mag Ochs’ Statement zu den immer wieder aufkeimenden Diskussionen um den Fortbestand der KSK sein: Es sei noch nie ein entsprechendes Sozialgesetz abgeschafft worden, daher sei eine Abschaffung der KSK unwahrscheinlich.

Agiles Arbeiten – oder: Im Flow beim Ubongo-Spielen

Agiles Arbeiten ist derzeit eines der Buzzwords im Management von Unternehmen und Projekten. Vor allem in der Softwareentwicklung wird bereits jetzt häufig nach agilen Prinzipien vorgegangen. Allmählich scheinen sie auch im Bereich der Buch- und Contentproduktion anzukommen. Was genau hat es mit dem agilen Arbeiten auf sich? In seinem Workshop beschrieb Edgar Rodehack Agilität als eine Haltung in Produktionsprozessen, die unter anderem folgende Vorteile mit sich bringt:

  • Die gesamte vorhandene Expertise und sämtliches Tun in einem Unternehmen bzw. bei der Realisierung eines Projekts lassen sich organisatorisch zusammenführen, indem alle Beteiligten an allen Stellen des Produktionsprozesses die Möglichkeit haben, mitzudenken und Ideen einzubringen.
  • Wartezeiten in Produktionsabläufen können wertschöpfend genutzt werden.
  • Auf Unsicherheiten in Produktion und Verkauf kann reagiert werden, indem zum Beispiel möglichst früh beim Kunden Feedback zu einem Produkt eingeholt wird.
Lektorenverband VFLL auf der future!publish in Berlin

Lehrhaftes Ubongo-Spielen (Bild: Sabine Felber/Literaturtest)

Das hört sich gut an, aber wie funktioniert’s? Um den Unterschied zwischen dem herkömmlichen Wasserfallansatz im Projektmanagement und agilem Arbeiten zu verdeutlichen, ließ uns Rodehack Ubongo spielen: Die aufeinanderfolgenden Schritte im Spielablauf wurden jeweils an die einzelnen Mitglieder einer Spielgruppe delegiert. In der ersten Spielrunde sollten wir die Schritte streng chronologisch nacheinander ausführen – erst wenn ein Schritt als vollständiges Arbeitspaket abgeschlossen war, durfte mit dem nächsten begonnen werden. Ergebnis: Die übrigen Gruppenmitglieder langweilten sich, während ein Mitglied (oft genug erfolglos) versuchte, sein Arbeitspaket zu bewältigen. Keine Spielgruppe schaffte es, in der vorgegebenen Zeit sämtliche Spielschritte abzuschließen. Frustrierend!

In der nächsten Spielrunde durfte ein Spielschritt begonnen werden, sobald das vorangehende Arbeitspaket teilweise abgeschlossen war. Ergebnis: Es kam Bewegung in den Spielablauf, es ging schneller voran. Dritte Runde – diesmal „agil“: Ergänzend zum Ablauf in der vorherigen Runde durften sich die Gruppenmitglieder gegenseitig helfen und beraten. Ergebnis: Der Spielablauf flutschte, alle Gruppen verbesserten ihre Spielergebnisse um Längen – und es machte richtig Spaß!

Wie könnte sich das agile Prinzip auf die Arbeit freier Lektorinnen und Lektoren übertragen lassen? Das Lektorat steht im Allgemeinen relativ weit am Ende der Produktentwicklungskette und so bleibt es oft den Lektoren überlassen, geradezubiegen, was zu einem früheren Zeitpunkt in eine ungünstige Richtung gelaufen ist. Das Lektorat bereits frühzeitig in die einzelnen Schritte der Konzeption miteinzubeziehen – insbesondere bei der Planung und Realisierung digitaler Publikationen – kann sehr sinnvoll sein.

Fazit

Die future!publish bot auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit, sich auf komprimierte Weise über die Umbrüche in der Verlagswelt, Innovationen, aktuelle Diskussionen und neue Arbeitsformen zu informieren. Hier müssen freie Lektorinnen und Lektoren auf dem Laufenden bleiben, um sich den Entwicklungen entsprechend fortzubilden und ihr Leistungsportfolio anzupassen. Gleichzeitig sind Veranstaltungen wie die future!publish ein geeigneter Rahmen, um zu zeigen, dass wir mit unseren Kompetenzen, Erfahrungen und unserer Innovationsbereitschaft die Publikationswelt von morgen aktiv mitgestalten wollen und können. Was ich an dem Kongress ganz besonders schätze, ist das unangestrengte Netzwerken: Nicht viele Branchenveranstaltungen schaffen es, die Teilnehmenden aus den unterschiedlichsten Bereichen so locker in Kontakt und fruchtbaren Austausch zu bringen.

Die dritte future!publish findet übrigens am 25./26. Januar 2018 statt – wie immer in Berlin.

Berichte von der ersten future!publish

Claudia Lüdtkes Website und Profil im Lektorenverzeichnis

Großes Bild: ©Sabine Felber/Literaturtest

2 Gedanken zu „So lesen, arbeiten und publizieren wir in der Zukunft

  1. Pingback: Digitaler Kongress zum digitalen Publizieren - VFLL-Blog

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