Lektorenverband VFLL Lektorieren und Korrigieren bei der Typo Talks

Korrigieren im Stundentakt

Als Konferenzkorrektor an Blogtexten arbeiten, die möglichst schnell veröffentlicht werden sollen. Das Ganze in einem jungen Team auf einer Design-Messe. Diese Aufgabe wirkte vorab herausfordernd, aber auch ziemlich spannend. Christian Wöllecke über seine Jungfernfahrt als Korrektor an Bord eines Konferenzschnellbootes.

Von Christian Wöllecke

In diesem Frühjahr kam ich mächtig ins Schlingern. Das Studium war vorbei. Ich wollte selbstständig sein, durchforstete aber trotzdem permanent Stellenportale, bewarb mich ein paar Mal auf ausgeschriebene Volontariate oder als Trainee. Am Ende schob ich die Angst beiseite und auch den Unwillen, mich vollkommen in die Selbstständigkeit zu stürzen. Denn das hieß auch: Raus aus dem Schneckenhaus, weg vom Schreibtisch – Netzwerken, Kontakte knüpfen, Leute kennenlernen. Also besuchte ich Veranstaltungsabende, den Austausch des VFLL der Regionalgruppe Berlin zum Beispiel, aber auch ein Treffen der „„Pub ’n’ Pub“-Reihe.

An diesem Abend sprach die freie Texterin Sonja Knecht darüber, wie man „einen Text verkauft“. Hinterher unterhielt sie sich mit vielen Menschen, ich klammerte mich an meinem Getränk fest und redete mir ganz fest ein, dass Texterinnen keine Lektoren suchten. Aber eine Kollegin widersprach meinem nun auch laut geäußerten Gedanken. Ich riss mich also zusammen und trat zu Sonja. „Hast du eine Visitenkarte?“, fragte sie mich. Ich hatte noch keine. „Schick mir eine Mail.“ Ich schrieb ihr, wartete ein paar Tage auf die Antwort – und fühlte mich seltsam. Sonja ist eine erfahrene Texterin und frühere Textchefin einer Design-Agentur, die sicher schon eine Menge Projekte betreut hatte. Und nun kam ich daher, mit meinem in der Zwischenzeit beerdigten Firmennamen „Lektorat Steglitz“. Mein Gott, wie altbacken. Nie hatte ich mich mehr als Steglitzer und weiter entfernt von der Kreativität der Stadtmitte gefühlt. Aber Sonja schrieb sehr nett zurück, begann sofort, mich zu empfehlen, und gab mir ein paar Tipps und Hinweise für die Arbeit.

Vom Wort zur Tat – ich werde Korrektor im News-Team

Dann, ein paar Tage später, schrieb sie mir erneut. Weil sie einen Korrekturgang für einen längeren Blogartikel brauchte und ihre Stammlektorin voll ausgelastet war. Ich sprang ins kalte Wasser – und überzeugte. Meine Art zu korrigieren und Anmerkungen zu machen, gefiel Sonja. Noch ein paar Tage später telefonierten wir – und ich hörte zum ersten Mal von der Typo Talks Berlin.

Für diese Konferenz, die sich hauptsächlich mit Design- und Typografiefragen beschäftigt und 2016 vom 12.–14. Mai in Berlin stattfand, stellt Sonja seit einigen Jahren ein junges Team zusammen, das sich um die Berichterstattung kümmert. Jedes Teammitglied besucht ein, zwei oder mehr Veranstaltungen, um direkt im Anschluss möglichst spontan einen Text für den Typo-Blog zu verfassen. Sonja fragte mich, ob ich als Korrektor dabei sein wollte, und ich stimmte zu.

Lektorat auf der Typo Talks

Das internationale Editorial-Team 2016
© Gerhard Kassner / Monotype

Bei unserem Treffen, eine Woche vor der Konferenz, lernte ich das Team kennen. Eine Menge Schriftgestalter/-innen und Designer/-innen, aber auch Programmierer/-innen und Universaltalente. Viele mit einem Hang zum Text, aber ohne ein berufliches Interesse an Grammatik, Interpunktion und Rechtschreibung. Zweiundzwanzig MacBooks und zwei Windows-PCs in einem Raum. Ich klappte mein Lenovo-Notebook zu und legte Wörter aus Russisch-Brot-Buchstaben auf der Bildschirmrückseite. Bei der Zusammenkunft wurden wir von Jannis und Jenna, unseren Chef-Editoren, instruiert. Sonja konnte das Team nicht mehr betreuen, da sie als Moderatorin auf der Bühne stehen würde. Im Jahr davor hatten Jannis und Jenna auch die Endkorrektur der Texte übernommen, nun kam noch die generelle Organisation hinzu. Mir wurde klar, wobei ich helfen konnte. Ich entschied mich, keinen Text zu schreiben, sondern mich allein um die Richtigkeit der Beiträge zu kümmern.

Stimmt das Header-Bild, warum macht der Divider nicht, was er soll?

Und diese Richtigkeit umfasste nicht nur die üblichen Lektoratsaufgaben, sondern auch die Arbeit im Content-Management-System, also das Anpassen von Codeschnipseln – der übliche Kampf mit der Hakeligkeit bestimmter HTML-Angaben –, die Ausrichtung und Größe von Bildern und zum Teil auch das Setzen von entsprechenden Tags und die Zuordnung zu Kategorien. Es war in jedem Fall von Vorteil, dass ich – auch durch meine eigene Homepage – mit WordPress, dem CMS der Typo Talks, vertraut bin. Wir hatten abgesprochen, dass Texte in WordPress angelegt und von uns dort auch direkt korrigiert werden sollten. Tatsächlich kopierte ich mir die meisten der mir zugeordneten Texte zunächst in ein Word-Dokument, um dort die Änderungen sichtbar zu machen und gleichzeitig die Rechtschreibkontrolle als Backup nutzen zu können. Denn die Konzentration aufrechtzuerhalten, die Texte dabei möglichst schnell, vielleicht auch am Ende eines langen Tages möglichst fehlerfrei, zu veröffentlichen, war vielleicht die größte Hürde.

Tag eins: Der erste Text kommt 20 Uhr

Am ersten Tag trafen wir uns um zwölf Uhr, zwei Stunden vor dem ersten Vortrag. Nach der Einstimmung gab es das Treffen der Editoren und Editorinnen, bei dem festgelegt wurde, wer welche Texte Korrektur lesen sollte. Neben mir haben weitere Autorinnen diese Aufgabe übernommen, ein eigenes kleines Team kümmerte sich um die englischen Texte. Mir wurden ein Autor und eine Autorin mit jeweils zwei Texten zugeteilt. Jannis sagte zu mir: „Rechne mit dem ersten Text nicht vor 15 Uhr.“ Ich sah mir den Eröffnungsvortrag und noch einen weiteren an. Ich trank Kaffee und aß Suppe. Ich machte mir Notizen. Das Team saß in einem kleinen, abgetrennten Bereich und permanent hackte jemand etwas in seine Laptoptastatur. Draußen lief die Konferenz auf Hochtouren. Der erste Text kam um 18 Uhr. Ich öffnete ihn in WordPress. Er war auf Englisch. Falsche Info beim Editoren-Treffen. Blieb nur noch ein Text – der um 20 Uhr kam. Ich habe ihn lektoriert, ihn um 21 Uhr mit dem Autor, der gerade aus einer Veranstaltung kam, besprochen und um 21:45 Uhr mit einem kleinen Bier in der Hand veröffentlicht. Banges letztes Lesen in der Vorschauansicht und schlechtes Gewissen des Bieres wegen inklusive. Ein Text am ersten halben Tag. Das war nicht viel. Und es sollte auch an Tag zwei so bleiben.

Morgens bekam ich neue Texte zugeteilt. Zwei alte waren ja noch übrig. Am Vormittag besprach ich einen Text außer der Reihe mit einem Autor, der mich um Rat gefragt hatte. Es war sein erster Text, der veröffentlicht wurde. Wir diskutieren einige der Stellen. Er blieb manchmal stur – das fand ich für seine Schreibhistorie ungewöhnlich, aber okay. Es sollte hier ja vor allem darum gehen, die Texte der Schreibenden aufs Tapet zu bringen wie sie waren. Korrigiert – und vielleicht auch geglättet.

Nach dem Mittagessen kamen die Texte vom Vortag. Ich erhöhte die Zahl der korrigierten Texte damit auf drei.

Mit der Beschaulichkeit vorbei war es am dritten und letzten Tag. Ich korrigierte die ganze Zeit. Sechs Artikel, im Schnitt eine Stunde pro Text inklusive aller Arbeiten in WordPress. Die Zahl der persönlichen Textgespräche nahm ab, die meisten waren froh, wenn der Text online ging. Auch ich war stärker im Tunnel. Obwohl es, wegen der Zahl an Schreibenden und Korrigierenden sowie der guten Organisation und Aufgabenplanung, angenehm stressfrei blieb.

Aus und vorbei: Die Korrektur von Blogbeiträgen bleibt ein spannendes Thema

In den Tagen danach folgten noch ein paar Texte, aber wir waren ziemlich schnell mit allem durch. Mir blieb die Erkenntnis, dass ich beinahe zu genau bin. Die Texte wurden selten bis auf das letzte Komma genau gelesen – und ich gewöhne mich daran. Wichtig war, den Inhalt so zu transportieren, dass man beim Lesen nicht ins Stocken gerät, weil man über den x-ten Buchstabendreher stolpert. Und trotzdem versuchten wir, auf die korrekte Mikrotypografie zu achten. Denn das war definitiv ein Thema. Es ging schließlich auch darum, den Konferenzbesuchern mit den Texten einen Veranstaltungsmehrwert zu bieten. Eine Form der Nachlese und Einbindung, auch um das gesprochene Wort zu fixieren und fassbar zu machen für eine bestimmte Nachlaufzeit.

Mir bleiben eine Menge Erfahrungen von meinem ersten Einsatz als Konferenzkorrektor: Ich hätte am ersten Tag ohne Probleme einen eigenen Text schreiben können. Durch die Vorträge, die ich mir anschaute, habe ich einiges an Input erhalten. Dazu gab es viel Austausch und tolle Kontakte, Einblick in die Design-Szene und Erfahrung mit der schnellen Korrektur direkt im CMS-Backend. Es bleibt zu hoffen, dass die Aufmerksamkeit dem Thema Blogkorrekturen gegenüber weiter zunimmt – denn auch eine kurze, schnelle und subjektive Form wird durch Flüchtigkeits- und Formatierungsfehler unattraktiv oder ganz und gar unlesbar. Und das, obwohl Blogs inzwischen fast immer eine Art der Endkundenkommunikation darstellen.

Christian Wölleckes Website und Profil im Lektorenverzeichnis

Großes Bild: Der Presse-Bereich des Editorial-Teams © Norman Posselt / Monotype

Ein Gedanke zu „Korrigieren im Stundentakt

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