Michael Kracht startete mit 65 Jahren seine zweite Karriere als Buchautor, Lektor und Verleger

Als Quereinsteiger durchs Leben – Oder: „Wie ich wurde, was ich jetzt bin“

Viele gehen mit fünfundsechzig Jahren in Rente. Nicht so VFLL-Kollege Michael Kracht. Der promovierte Biologe hat bereits dreißig Berufsjahre in der Pharma- und Beraterbranche hinter sich, als er beschließt: Ich beginne noch einmal etwas Neues. So startete er seine zweite Karriere als Buchautor, Lektor und Verleger.

Von Dr. Michael Kracht

Heute ist Michael Kracht als Buchautor, Lektor und Verleger tätig

Buchautor, Lektor und Verleger Dr. Michael Kracht

Dreißig Jahre Berufstätigkeit lagen hinter mir, dreißig Jahre in einem Beruf, den ich anfangs gar nicht wollte und der mich dann doch all die Zeit gefesselt und fasziniert hat. Ich wollte entweder Verhaltensforscher werden, à la Konrad Lorenz, oder Berufsmusiker. Als Schüler in Würzburg habe ich das Konservatorium besucht, um Cello und Klarinette zu studieren, und abends Abhandlungen der bekannten Verhaltensforscher gelesen. Irgendwann hatte das Biologie-Interesse über das Musizieren gesiegt – oder vielleicht waren auch die mangelhaften Klavierkenntnisse schuld. Biologie-Studium – erst in Würzburg, später in Kiel, und abschließend dann in Gießen – als Diplom-Biologe und 1985 als Doktor. Ich wollte damit Naturschützer werden, aber für alle erreichbaren Stellenangebote war ich „überqualifiziert“. Ein Angebot, in der Uni zu bleiben, lehnte ich ab – es wäre auch nur für eine befristete Zeit gewesen. Freunde erzählten von angewandter Forschung in der Pharmaindustrie; abwechslungsreich und spannend sollte es sein, und man würde mit etwas Glück auch ins Ausland reisen können. Ich schrieb Bewerbungen, zunächst bei drei nahe gelegenen Unternehmen der Pharmaindustrie – mit der Erwartung der umgehenden Ablehnung – und alle drei luden mich zu Gesprächen ein. Erst in Darmstadt, dann in Ingelheim und endlich in Wiesbaden. Ich nahm den Job in Darmstadt und arbeitete fortan in Wiesbaden, lernte „Klinische Entwicklung“ in allen Facetten kennen – also die Entwicklung von neuen Arzneimitteln direkt am Patienten. In den Folgejahren wechselte ich mehrfach die Firma und den Wohnort, stieg in der Hierarchie nach oben und konnte auch ins Ausland reisen und dort arbeiten; nach Holland, Großbritannien, in die USA, längere Zeit nach Ungarn, wo ich dann 1989 die Trabbi-Schlangen vor der österreichischen Grenze erlebte. Südamerika, vier Jahre nach Indien und dann wieder in Deutschland. Als Inhaber meiner eigenen Consulting-Firma ging das Reisen weiter, jetzt nach Osteuropa, Nordafrika und in die Golfstaaten Oman, Katar, Dubai und Saudi-Arabien. Die langen Reisen und die Wartezeiten auf Flughäfen und in Hotels nutzte ich bereits damals zum Schreiben; Notizen, Berichte, Stimmungsbilder, kurze Szenen – alles verschwand in Notizbüchern.

2015 ging eine kleine Biotech-Firma, für die ich gerade als externer Berater tätig war, in die Insolvenz. Das war das Signal auch für mich, in Rente zu gehen; ich war inzwischen Fünfundsechzig, und es reichte. Aber einfach so die Hände in den Schoß legen? Das konnte ich nicht. Die ersten Kurzgeschichten entstanden, schnell fand ich über Facebook Gleichgesinnte, die auch schrieben. In einer Gruppe schlug ich vor, gemeinsam eine Krimianthologie zu schreiben. Die Begeisterung war groß, ich übernahm die Leitung. Die Mitautoren schickten mir ihre Entwürfe, ich übernahm die Korrektur und gab Tipps für Logik und Spannung. Um besser gewappnet zu sein für diese Anforderungen, meldete ich mich bei der „Akademie der Deutschen Medien“ zur Seminarreihe „Freies Lektorat“ an. Dreimal zwei Tage lang – es hat unendlich viel Spaß gemacht – und ich war „Freier Lektor ADM“, sogar mit Zertifikat.

‚Geht das wirklich so einfach?‘, fragte ich mich selbst. Ja, es ging. Ich bastelte mir selber einen Internetauftritt und bot meine Lektoratsdienste an. Und ich bekam Aufträge – für einen Anfänger erstaunlich viele und auch erstaunlich gute. Ein Fernlehr-Institut für Medizinberufe ließ mich eine ganze Serie ihrer Lehrbriefe überarbeiten, für ein DUDEN-Tochterunternehmen erstellte ich Lerneinheiten zur Biologie, zahlreiche Examensarbeiten aus Naturwissenschaften und Medizin, aber auch aus anderen Wissenschaftsbereichen gingen über meinen Schreibtisch. Und etliche Romane und Kurzgeschichten.

Natürlich hatte ich auch unsere Krimianthologie darüber nicht vergessen, jetzt wurde sie – so hoffte ich zumindest – fachmännisch lektoriert, dann einigen Verlagen angeboten – und abgelehnt. Meistens ganz ohne Begründung oder mit „dünnen“ Begründungen (‚Anthologien gehen überhaupt nicht‘, ‚Wir verlegen keine Krimis‘). Bis ein kleiner Verlag in Österreich zusagte. Die Verhandlungen verliefen schnell und unkompliziert. Die Autorengruppe freute sich. Und der Verleger sagte plötzlich ab. Das von uns gemeinsam ausgesuchte Coverbild gefiel ihm nicht. Das von ihm als Alternative vorgeschlagene (nein: verordnete!) Umschlagbild gefiel uns aber nicht, überhaupt nicht. Also Trennung. Durch Zufall traf ich auf Facebook auf eine andere Verlegerin, auch aus Österreich. Nach zwei Tagen hatten wir eine neue Zusage, das gemeinsame Buch konnte erscheinen, mit unserem Cover. Und es wurde ein Erfolg: Schon nach wenigen Wochen mussten wir eine zweite Auflage drucken lassen. Natürlich beflügelte dieser Erfolg die ganze Autorengruppe – wir schreiben weiter! Und es beflügelte auch mich. Ich hatte mir nämlich ausgerechnet, wie viel von dem Buchpreis wir als Autoren erhielten und wie viel der Verlag einsteckte. Das musste noch besser gehen! (Ich war zu dem Zeitpunkt noch blauäugig und naiv.)

Mit der Aussicht auf die nächste Krimianthologie gründete ich am 1. April 2017 meinen eigenen Verlag, den Fehnland-Verlag, benannt nach der Region, in der ich lebe. Das „Fehnland“ ist der ehemals moorige Teil Ostfrieslands, der Wortstamm findet sich auch im holländischen Veen oder im Venn in der Eifel.

Michael Kracht startete mit 65 Jahren seine zweite Karriere als Buchautor, Lektor und Verleger

Der Fehnland-Verlag hat inzwischen sieben Buchtitel auf den Markt gebracht, für 2018 sind neun neue Titel in Vorbereitung.

Ich lektoriere immer noch, aber heute zum allergrößten Teil die Buchprojekte meines eigenen Verlages und hin und wieder auch eine Examensarbeit – um in Übung zu bleiben. Daneben – oder hauptsächlich – habe ich viel Zeit damit verbracht, mich in die Geheimnisse des Verlagswesens einzuarbeiten. Buchsatz und Typografie, Coverdesign, Vertrieb, Verlagsauslieferung, die verschiedenen Arten des Druckens und der Bindung, E-Book-Erstellung und -Gestaltung und nicht zuletzt Buchhaltung und Kalkulation, Titel- und Projektmanagement – alles war absolutes Neuland für mich. Ich musste lernen, Verträge mit Autoren abzuschließen und auch mit Barsortimentern und Dienstleistern. All das habe ich im Schnelldurchgang bewältigt, um meinem wichtigsten Ziel näher zu kommen: meine eigenen Bücher in der Buchhandlung zu sehen.

Inzwischen – nach neun Monaten – hat der Verlag sieben Buchtitel auf den Markt gebracht, für 2018 sind sogar bereits neun neue Titel in Vorbereitung.

Ja, es ist viel Arbeit; manchmal sogar Stress. Aber es gibt auch unglaublich viel Zufriedenheit. Ich habe jetzt den Beruf gefunden, der mir Spaß macht. Und ich ertappe mich gelegentlich bei dem Gedanken, warum ich damit nicht schon vor dreißig oder vierzig Jahren angefangen habe.


Michael Krachts Website und die Website seines Verlags Fehnland

Das Profil von Michael Kracht im Lektorenverzeichnis

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