Moritz Malsch beim Lektorenverband VFLL Lektorentage

„Ein systematisches Karriere-Check-up“

Bei den Lektorentagen 2017 gibt es erstmals eine Berufsberatung für Lektorinnen und Lektoren. Sie wendet sich gleichermaßen an Neulinge im Beruf wie an alte Häsinnen und Hasen. Moritz Malsch von der Berliner Lettrétage hat die Beratung organisiert und erzählt, was es damit auf sich hat.

Der Verein Lettrétage veranstaltet in Berlin regelmäßig Berufsberatungen für Selbstständige aus der Textbranche. Worum geht es dabei?

Unser Projekt heißt WiSU, das steht für die wirtschaftliche Stärkung der Urheber*innen in der freien Literaturszene Berlins. Zu den Urhebern zählen vor allem Autorinnen, Lektoren und Übersetzerinnen sowie im weiteren Sinne freie Literaturveranstalter. All diese Solo-Selbstständigen eben, die oftmals für zu wenig Geld geistige Schwerstarbeit leisten und die oft keine oder kaum eine soziale Absicherung haben. Das WiSU-Projekt will den freiberuflich Tätigen der Literatur helfen, sich des Werts ihrer Arbeit bewusst zu werden und Strategien zu entwickeln, wie sie zu einer auskömmlichen und fairen Bezahlung kommen. Zu diesen Strategien zählen, die Kompetenzen zu erweitern, gerade auch im wirtschaftlichen Bereich, neue Geschäftsfelder zu erschließen, aber auch die Vernetzung, etwa in Form von Verbänden, Kooperationen oder genossenschaftlichen Arbeitsmodellen.

Das WiSU-Projekt baut in der ersten Runde neben dem Beratungsangebot ein Online-Ticketing-System für Literaturveranstalter sowie einen Veranstaltungsnewsletter auf, richtet einen jährlichen Branchentreff aus und stellt einen Veranstaltungs- und Tagungsraum kostenlos zur Verfügung. Für den nächsten Branchentreff vom 16. bis zum 19. November 2017 im Haus der Kulturen der Welt sei an dieser Stelle schon einmal Werbung gemacht. Näheres fortlaufend unter www.literaturszene.berlin.

Was können Sie über die (wirtschaftliche und soziale) Situation freier Lektorinnen und Lektoren sagen?

Es wäre wünschenswert, diese einmal statistisch genauer zu erheben. Aus eigener Berufserfahrung als freier Lektor sowie aus meinen Gesprächen mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass man es als freier Lektor in der Buch- und Literaturbranche, ehrlich gerechnet, kaum schafft, ein auskömmliches, geschweige denn ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Lektorinnen und Lektoren sind meist akademisch ausgebildet und haben oftmals einschlägige Berufserfahrung aus Verlagen.

Da Freiberuflerinnen und Freiberufler selbst für ihre soziale Absicherung sorgen müssen, wäre die sinnvollste Vergleichsgröße für den durchschnittlichen monatlichen Umsatz das Arbeitgeber-Brutto von Angestellten mit Hochschulabschluss. Hier sind 4500 Euro bescheiden gerechnet. Realistisch für freie Lektorinnen und Lektoren ist aber grob geschätzt eher ein Einkommen von 1500 bis 2500 Euro – für eine Vollzeittätigkeit! Während man die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung über die KSK gerade so noch hinbekommt, ist dann meist das Erste, was wegfällt, die private Altersversorgung.

Auf welche Art und Weise bietet das WiSU-Projekt freien Lektorinnen und Lektoren Unterstützung?

Wir tun alles, um sie aus ihrem Einzelkämpfertum herauszuholen. Letztlich ziehen wir hier mit dem VFLL an einem Strang. Mir persönlich hat der Anschluss an Berufskolleginnen und -kollegen sehr geholfen, bei Auftraggebern bessere Preise durchzusetzen beziehungsweise das Selbstbewusstsein zu entwickeln, bestimmte Aufträge einfach nicht mehr anzunehmen. In der WiSU-Einzelberatung spricht man mit Kolleginnen und Kollegen, die einem zuhören, neue Ideen einbringen, ihr Erfahrungswissen teilen. Sie kennen die Lage, in der man sich befindet, aus eigener Erfahrung, sprechen dieselbe Sprache und stärken einem den Rücken.

Auf dem Branchentreff wird es dieses Jahr eine eigens für Lektorinnen und Lektoren konzipierte Programmstrecke geben. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Austausch- und Anschlussmöglichkeiten, zum Beispiel einen Projektemarkt, auf dem man eigene Veranstaltungsprojekte präsentieren und weiterentwickeln oder aber auch seine beruflichen Fähigkeiten den Projekten anderer anbieten kann. Im allgemeinen Programmteil finden Diskussionsrunden über aktuelle Themen sowie informative Vorträge statt, beispielsweise über das Smart-Genossenschaftsmodell, das auch für manche Lektorinnen und Lektoren eine Alternative mit mehr sozialer Absicherung sein kann.

Welche Anliegen haben freie Lektorinnen und Lektoren, die zu den Beratungen kommen? Ist das Beratungsangebot vor allem für Berufseinsteiger gedacht oder können auch „alte Hasen“ davon profitieren?  

Die Anliegen sind sehr breit gestreut. Das beginnt mit Fragen zur KSK oder zur VG Wort, setzt sich über Akquise- und Online-Strategien sowie neue Geschäftsfelder fort und endet nicht bei Fragen zur Arbeitsorganisation, zum Auftraggeber-Management, zur Preisgestaltung oder zu Weiterbildungsangeboten. Die meisten, die uns bisher aufgesucht haben, standen tatsächlich eher noch am Beginn ihrer Karriere. Das ist aber von uns so nicht beabsichtigt. Die alten Hasen scheuen sich vielleicht manchmal, einen Berater oder eine Beraterin aufzusuchen – als wenn man MIR noch etwas erklären müsste! Aber ein Zwiegespräch über die eigene berufliche Situation und etwaige Weiterentwicklungsmöglichkeiten kann allen guttun. Man mag es Kurz-Coaching oder Mentoring-Gespräch nennen. Selbst unsere Beraterinnen und Berater sagen, dass sie bei den Gesprächen oft noch sehr viel dazulernen.

Welchen Hintergrund haben die Beraterinnen und Berater?

Von ganz, ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind alle selbst erfahrene Selbstständige aus den jeweiligen Berufsfeldern. Es sind Leute, die sowohl jahrelang erfolgreich in dem Beruf gearbeitet als auch stets über den Tellerrand geschaut, sich ausgetauscht und weiterentwickelt haben. Sie sind vernetzt und verfügen somit über einen guten Überblick über die Risiken und Chancen des Berufs.

Wie wird eine Beratung während der Lektorentage ablaufen?

Während der Lektorentage haben wir es vermutlich vorwiegend mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zu tun, die die Basics bereits aus dem FF kennen. Deswegen haben wir uns überlegt, dass wir, falls die Leute nicht mit konkreten Fragen zu uns kommen, ein systematisches Karriere-Check-up anbieten: Bin ich beruflich da, wo ich sein will? Wie gestalte ich mein Berufsleben aktiv? Wie sieht meine optimale persönliche Mischkalkulation aus? Arbeite ich zu viel beziehungsweise wie viel will ich eigentlich arbeiten? Was kann ich an meiner Selbstdarstellung sowie an meinen Akquise- und Kundenbindungsstrategien noch verbessern? All die Fragen, die man sich oft auch selbst stellt. Und die zu beantworten fällt einem im systematischen Zwiegespräch mit einem kompetenten Gegenüber viel leichter.

Ein Gedanke zu „„Ein systematisches Karriere-Check-up“

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